Meinung

Fluchtweg freigehalten – Gründe für mangelnde Rechenschaft über US-Waffenhilfen an Kiew

Jüngste Berichte in US-Medien bezüglich des Mangels an Rechenschaft über an Kiew geliefertes Rüstungsgut lassen keinen anderen Schluss zu: Dies war als Hilfe zum Ausstieg aus Waffenhilfen an die Ukraine von vornherein geplant. Nun scheint der Moment gekommen.

Von Oleg Zarjow

Die New York Times berichtet über ein neues Ex­po­sé des Pentagons, welches besagt, dass der Weg des Materials, das die USA im Rahmen ihrer Militärhilfen an Kiew lieferten, schlecht nachverfolgt wurde.

Gleich vorab: Noch beschuldigt Washington die ukrainische Führung nicht, US-Waffen geschmuggelt und unter der Hand weiterverkauft zu haben. Darüber zu befinden, gehörte sozusagen nicht zu den technischen Aufgaben der referierten Wirtschafts- und Bestandsprüfung. Mehr noch: Unmittelbare Beweise für eine Zweckentfremdung jeglicher Waffen nach deren Entsendung in die militärische Material- und Technikversorgungszentrale der USA in Polen oder weiter an die Frontlinie in der ehemaligen Ukrainischen SSR fehlen in diesem Bericht.

Festgestellt wird allerdings, dass Beamte des US-Verteidigungsministeriums und die beteiligten Diplomaten in den USA und Europa für viele der nahezu 40.000 Waffensysteme keine Rechenschaft abgelegt haben oder ablegen konnten. Es handelt sich um Waffensysteme, deren vorgesehener Kampfeinsatz, geheim zu haltende Technologien und vergleichsweise kleine Abmessungen diese für Waffenhändler zu einem sehr attraktiven Sahnestück machen. Die Rede ist von bodenbasierten Raketensystemen, Kamikaze-Drohnen und Nachtsichtgeräten.

In dem Bericht wird nicht präzisiert, wie viele der 39.139 Einheiten an heiklem Rüstungsgut, das der Ukraine übergeben wurde, nun genau als "aus dem Blickfeld" der US-Betreuer des Kiewer Regimes entwichen gelten. Dafür wird deren geschätzter Wert angegeben: rund eine Milliarde US-Dollar.

Sehr formell geht der NYT-Journalist an die Aufgabe heran, das Fehlen einer genauen Verfolgung zu rechtfertigen. Er schreibt, dass die Mitarbeiter des Pentagons, des US-Außenministeriums und weitere Experten lange Zeit schlicht für unmöglich gehalten hätten, unter den aktuell herrschenden Bedingungen kriegerischer Auseinandersetzung für ein jedes an Kiew entsandte Waffensystem Rechenschaft abzulegen. Ein banaler Grund wird angegeben: Fehlen von Personal in Washington, in Kiew und im Versorgungszentrum in Polen. So seien in der US-Botschaft in Kiew momentan lediglich zwei Inspekteure tätig, wenngleich man mindestens zwei weitere dorthin abkommandieren wolle.

Und nun tief durchatmen, wertes Publikum.

Um über die Rüstungsgüter Buch zu führen, beschloss die Biden-Regierung, Kiew mehr Befugnisse für eine selbständige Rechenschaft über deren Kampfeinsatz zu gewähren. Hierfür wurden den Ukrainern sage und schreibe zehn Strichcode-Scanner ausgehändigt, die die Seriennummern der Waffensysteme augenblicklich in die US-Datenbanken einspeisen sollen. Doch nicht eines dieser Scan-Geräte fand seinen Weg an die Frontlinie.

Gefolgert wird aus dem oben Dargelegten etwas ziemlich Offensichtliches. Der Bericht des Pentagons lasse befürchten, dass ein Teil der Waffensysteme "mit sensitiven Technologien", die an Kiew überreicht wurden, entweder gestohlen oder in Drittländer geschmuggelt worden sein könnten. Und der Bericht kommt ausgerechnet just zu jenem Augenblick, an dem das US-Parlament unter Qualen entscheidet, ob Kiew weitere Militärhilfen von den USA erhalten soll. Die veröffentlichten Daten werden sicherlich die Skepsis anheizen, die im US-Kongress bezüglich weiterer, ganz zu schweigen von größeren, Militärhilfen an Kiew ohnehin schon herrscht. Und angesichts der langen Geschichte der Korruption und des Waffenschmuggels in der ehemaligen Ukrainischen SSR wird die Nachfrage nach deutlich gründlicherer Buchführung und Rechenschaft zweifelsohne wachsen.

Man kann über die schiere Eleganz des zugrunde liegenden Gedankenganges nur staunen. Als Washington Waffensysteme und Ausrüstung an Kiew übergab, kann es gar nicht anders gewesen sein, als dass man sich Gedanken über deren mögliche Entwendung machte. Und indem die USA nur zehn Scanner übergaben und nur zwei Inspekteure abkommandierten, gaben sie Kiew deutlich zu verstehen, dass Rechenschaft und Transparenz bei weitem nicht oben auf der Tagesordnung stehen. So machten sie Kiew die Hände frei, um im passenden Moment erklären zu können, ihnen selbst seien die Hände gebunden.

Jetzt scheint der passende Moment gekommen zu sein.

Übersetzt aus dem Russischen.

Oleg Zarjow, Jahrgang 1970, war vor dem Maidan-Staatsstreich im Jahr 2014 ein ukrainischer Politiker: Rada-Abgeordneter der vier letzten Einberufungen (IV. bis VII.) von der Partei Vereinte Ukraine, dann Partei der Regionen der Ukraine, Mitglied beziehungsweise Vorsitzender mehrerer Parlamentsausschüsse. Er war in den Jahren 2012 bis 2014 Berater des Premierministers der Ukraine, Nikolai Asarow.

Als ausgebildeter Kernphysikingenieur bekleidete er hohe leitende Stellungen in mehreren Unternehmen in der Ukraine in den Jahren 1995 bis 2014.

Er war Gegner des Maidan und Ko-Vorsitzender der Volksfront Noworossija, Vorsitzender des Parlaments Noworossija (Union der Volksrepubliken Donezk und Lugansk) bis zum Jahr 2015, als die Aktivitäten des Parlaments gemäß den Minsker Abkommen eingefroren wurden. Zudem gründete er den Verein Flüchtlinge der Ukraine. Er wurde bei einem Terroranschlag im Auftrag des SBU am 14. November 2023 in Jalta schwer verwundet.

Heute ist er Direktor des Kirow-Kurhauses in Jalta sowie ein von russischen Medien oft zitierter und geladener politischer Kommentator. Er unterhält einen Telegram-Kanal, wo er regelmäßig Kommentare zu politischen, militärischen und militärpolitischen Themen und Anlässen veröffentlicht.

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