Meinung

Kritik statt Verbot – Replik zu Dugins Forderung nach Zensur und Repression in Russland

Alexander Dugin fordert, den Liberalismus wie andere extremistische Ideologien zu behandeln. Dabei ist Repression gar nicht notwendig. Der Liberalismus zeigt gerade, dass er kein tragfähiger Gesellschaftsentwurf ist. Statt ein Verbot braucht es die kritische Auseinandersetzung.
Kritik statt Verbot – Replik zu Dugins Forderung nach Zensur und Repression in RusslandQuelle: Sputnik © Mikhail Kireev

Von Gert Ewen Ungar

In einer Wortmeldung fordert der russische Philosoph Alexander Dugin die Ausweitung der Zensur in Russland. Dugin argumentiert, dass keine Gesellschaften frei von Zensur und Einschränkung sei. Auch der Liberalismus greife zum Mittel des Verbots und der Zensur gegenüber all jenen, die öffentlich gegen die von ihm postulierten Werte auftreten.

Beispiele für Dugins These lassen sich viele finden. Rede- und Auftrittsverbote, Entlassungen aufgrund abweichender Meinungen, Mundtot-Machen und öffentliches Anprangern von Kritikern liberaler Politik sind in Deutschland gerade an der Tagesordnung. An der immer repressiver werdenden Situation in Deutschland wird deutlich, dass der Liberalismus in seine letzte, autoritäre Phase eingetreten ist. Die Freiräume in den sich liberal nennenden Gesellschaften werden nicht weiter, sondern weniger und enger. Ein immer kleiner werdender Teil der westlichen Gesellschaften profitiert von der liberalen Agenda, die genau in diesem Auseinanderfallen ihre inhärente Triebkraft offenbart: die Entsolidarisierung und Fragmentierung der bürgerlichen Gesellschaften.

Mit dieser universalen und totalen Konkurrenz eines jeden gegen jeden wird das Versprechen westlicher, liberaler Demokratien, sie seien der Garant für das größtmögliche Maß an Freiheit für alle, immer uneinlösbarer. Die westlichen Demokratien wurden zudem längst von Lobbygruppen gekapert. Transnationale Organisationen wie die EU führen zu einem Rückbau demokratischer Entscheidungsprozesse in den sie begründenden Einzelstaaten.

Die liberale Wirtschaftspolitik insbesondere in der Währungsunion bringt die Staaten in eine wirtschaftliche Konkurrenzsituation zueinander, auf die sie nur mit Sparmaßnahmen und sozialstaatlichem Abbau reagieren können. Die Demokratie wurde im Westen, allen voran in der EU, entmachtet. Geblieben ist der laut vorgetragene Anspruch auf Universalismus des liberalen Wertesystems, mit dem allerdings kein tatsächlicher, gelebter und realer Wert mehr korrespondiert.

Das versteht man vor allem außerhalb des westlichen Bündnisses. Der kollektive Westen reklamiert für sich dagegen weiterhin das Recht der Durchsetzung seiner Ideologie weltweit. Werte wie Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verortet er nur bei sich und glaubt sich moralisch dazu verpflichtet, seine Interpretation dieser Begriffe weltweit nicht nur durchsetzen zu dürfen, sondern sogar zu müssen. Darin wurzelt sein imperialistischer und kolonialistischer Anspruch. Das ist auch der Motor seiner Aggression nach außen. Eine fundierte Ideologiekritik im Innern lässt er dagegen immer weniger zu. 

Allerdings zeigt diese Entwicklung auch deutlich, dass der Liberalismus eben nicht gesiegt hat, wie Dugin meint. Sicher, er ist das letzte der drei großen Systeme, die sich im 18. und 19. Jahrhundert herausgebildet haben. Kommunismus und Faschismus sind bereits untergegangen, der Liberalismus ist dabei, ihnen zu folgen. Die liberalen Gesellschaften zerfallen von innen. Ohne ein staatliches Korrektiv verbindet Individualismus Gesellschaft eben nicht, sondern führt zu Defragmentierung und Zerfall.

Die EU und allen voran Deutschland sind überzeugt, weiterhin in anderen Ländern Einfluss nehmen zu dürfen – etwas, dass sie unmittelbar verhindern, wenn es in umgekehrter Richtung stattfindet. Die einzige, massive Einflussnahme, die man in der EU duldet, ist die durch andere westliche Länder, allen voran durch die USA. 

Es ist gut, dass Russland zu der Erkenntnis gelangt ist, der Einfluss westlicher Organisationen, die den Liberalismus fördern und die sich gegen die Interessen Russlands richten, müsse unterbunden werden. Dass in letzter Zeit immer mehr ausländische Organisationen wie das Zentrum liberale Moderne oder vom Ausland finanzierte Organisationen wie Memorial in Russland verboten werden, ist richtig. Das zum Teil aus Steuermitteln finanzierte Zentrum liberale Moderne richtet sich offen gegen die vitalen Interessen Russlands. Memorial ist schon durch die Verbindung zur FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit ein Einflussagent des Liberalismus.

Dass vom Ausland, von Deutschland aus finanzierte und unterstützte LGBT-Organisationen sich als ausländische Agenten kennzeichnen müssen, ist ebenfalls richtig und wichtig. Denn gerade beim Thema LGBT geht es unter dem Deckmantel der individuellen Freiheit und sexuellen Selbstbestimmung um die unmittelbare Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder, in diesem Fall Russlands. Man sollte diese Organisationen verbieten. 

Dugin fordert allerdings noch mehr. Er will die strafrechtliche Neubewertung des Liberalismus. Aus der Ideologie des Liberalismus heraus gemachte, strafrechtlich relevante Äußerungen sollen rechtlich schwerer gewichtet und härter bestraft werden als entsprechende Äußerungen, die von rechts oder links kommen. Dugin will, dass analog zu anderen extremistischen Gruppen bereits die Lektüre und der Besitz der maßgeblichen Werke des Liberalismus zur Registrierung führt. Wer Karl Poppers "Die offene Gesellschaft und ihre Feinde" im Regal stehen hat, soll auf einer staatlichen Liste landen. Das ist Populismus. Es ist auch nicht angemessen und führt nicht zu einer Lösung des Problems. Es führt im Gegenteil zu einer Teilung der Gesellschaft. Es wiederholt die Fehler des Liberalismus unter umgekehrtem Vorzeichen. 

Repression und Zensur ist auch gar nicht notwendig. Derzeit entlarvt sich der Liberalismus ganz von selbst als unlebbare Ideologie, als gescheiterter gesellschaftlicher Entwurf. Es ist sicherlich angemessen, die Arbeit westlicher liberaler Organisationen zu verbieten – sie zielen darauf ab, dem gesellschaftlichen Zusammenhalt zu schaden und die Souveränität von Staaten auszuhöhlen. Unangemessen aber ist, die offene und kritische Auseinandersetzung und Diskussion über liberale Ideologie zu unterbinden. 

Die Schlussforderung Dugins, Russlands müsse über die Ideologien der Neuzeit hinausgehen und eine "eigene authentische, souveräne Weltsicht … etablieren, die auf den Grundwerten unseres Volkes und unseres Staates beruht", kann nur in der kritischen Auseinandersetzung mit diesen Ideologien gelingen. Ihr Verbot führt – das ist eine der zentralen Lehren der Geschichte – nur zur Wiederholung genau der Fehler, die man mit dem Verbot verhindern wollte. 

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