Meinung

EU-Chefdiplomat Borrell stolpert über die "Endlösung der Russenfrage"

Das russische Außenministerium hat die Worte des EU-Chefdiplomaten Josep Borrell als heuchlerisch bezeichnet, nachdem er Sergei Lawrow für seine Äußerungen zu den Absichten des Westens in der "Russenfrage" gerügt hatte.
EU-Chefdiplomat Borrell stolpert über die "Endlösung der Russenfrage"Quelle: AFP © Bartek SADOWSKI / AFP

Von Andrei Restschikow

Mit wenigen Worten provozierte Lawrow die westlichen Gegner auf ihrem ideologischen Terrain und führte sie im Gefecht zwischen Russland und Europa vor. Am Wochenende bezeichnete das Außenministerium Russlands die Erklärung des Hohen Vertreters der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik Josep Borrell als heuchlerisch, in der er den Außenminister Sergei Lawrow für dessen Vergleich zwischen dem Vorgehen der USA und ihrer Verbündeten und den Verbrechen Adolf Hitlers kritisierte.

Am Smolensk-Platz [dem Sitz des russischen Außenministeriums] wurde betont, dass Borrells Worte besonders heuchlerisch klingen – "angesichts der rassistischen Äußerungen des Chefs der EU-Diplomatie, der die Welt zweiteilt – in einen 'blühenden Garten', von 'einer Milliarde EU- und US-Bürgern' bewohnt, und in einen 'Dschungel', der den Garten bedrängt – sowie angesichts der offenen Unterstützung der EU für das Kiewer Neonazi-Regime".

Das russische Außenministerium erinnerte an die durch die EU in der UNO abgelehnten Initiativen Russlands, Antisemitismus, Russophobie und andere Formen der Diskriminierung gegenüber bestimmten Nationalitäten und Ethnien zu bekämpfen, und betonte, dass es "nie zu spät ist, seine Fehler einzugestehen und die richtige moralische Entscheidung zu treffen". Außerdem erhielt das Ministerium zahlreiche Briefe von jüdischen Organisationen und war völlig befremdet über die Forderung des Europäischen Jüdischen Kongresses, Lawrow solle sich für den Vergleich der "Judenfrage" mit der "Russenfrage" entschuldigen.

Im Laufe einer Pressekonferenz am 18. Januar hatte Lawrow die Politik in Washington, D.C., eine Koalition gegen Russland aufzubauen, mit Hitlers Vorgehen gegen die UdSSR verglichen. Seinen Worten nach versuchen die USA, Europa gegen Russland zusammenzuschmieden, um die "Russenfrage" endgültig zu lösen:

"So wie Napoleon praktisch ganz Europa gegen das Russische Reich mobilisierte, so wie Adolf Hitler in die meisten europäischen Länder einmarschierte, sie 'unter Waffen' stellte und gegen die Sowjetunion trieb, so haben die USA eine Koalition aus praktisch allen Europäern in Gestalt der NATO und der EU geformt und treiben diese durch die Ukraine als Stellvertreter in einen Krieg gegen unser Land, mit demselben Ziel – der endgültigen Lösung der 'Russenfrage'. Und Hitler wollte die Endlösung der 'Judenfrage'."

Der Minister fügte hinzu, dass westliche Politiker (nicht nur aus dem Baltikum und Polen, sondern auch aus "zurechnungsfähigen" Ländern) erklären, dass Russland eine "strategische Niederlage" erleiden müsse. Er ergänzte:

"In einigen Publikationen der Politologie wird lebhaft darüber diskutiert, wie man Russland dekolonisieren könnte. Wieder einmal ist unser Land zu groß und steht im Weg."

In seiner Antwort darauf kritisierte Borrell die "völlig unangemessenen" Anschuldigungen Lawrows gegenüber dem Westen, dass dieser die "Russenfrage" endgültig "lösen" wolle. Es gebe keine Parallele zwischen den Verbrechen Nazi-Deutschlands und der "internationalen Hilfestellung für die Ukraine, um ihr Territorium und ihre Bevölkerung vor einer ungerechten Aggression zu schützen", behauptete Borrell in einer schriftlichen Erklärung.

Der EU-Diplomat bezeichnete Lawrows Worte als "respektlos", weil sie "die Erinnerung an sechs Millionen Juden und andere Opfer, die während des Holocausts systematisch vernichtet wurden, mit Füßen treten". "Deshalb begehen wir nächste Woche den jährlichen Internationalen Holocaust-Gedenktag", sagte er.

Borrell fügte hinzu, es sei notwendig, die Ukraine weiter zu bewaffnen, denn:

"Russland ist ein großes Land, das daran gewöhnt ist, bis zum Ende zu kämpfen, daran gewöhnt, fast zu verlieren und dann wieder alles aufzubauen. Das hat Russland mit Napoleon getan und hat es mit Hitler getan. Es wäre absurd zu glauben, dass Russland den Krieg verloren hat oder dass sein Militär inkompetent ist."

Die Äußerung des EU-Diplomaten über die Aufteilung der Welt in einen "Dschungel" und einen "Garten" Europa stammt übrigens vom Oktober letzten Jahres. Später musste er sich für diesen Vergleich entschuldigen.

Eine Reaktion auf die Pressekonferenz von Lawrow gab es auch in den Vereinigten Staaten. John Kirby, der Koordinator des Weißen Hauses für strategische Kommunikation im Nationalen Sicherheitsrat, sagte, der russische Minister habe die Situation auf "wirklich beleidigende Weise" dargestellt. Der Jüdische Kongress forderte ebenfalls eine Entschuldigung. In einer Mitteilung auf der Webseite dieser Organisation heißt es, die Worte von Lawrow würden die Vorstellungen der Tragödie missdeuten, und deshalb fordere der Kongress den russischen Minister auf, sich "zu rechtfertigen". Das Außenministerium Russlands lehnte es ab, dieser Aufforderung der Organisation zu folgen, die selbst "seit vielen Jahren das katastrophale Ausmaß des Antisemitismus in der Ukraine ignoriert" habe.

Stanislaw Tkatschenko, Professor am Lehrstuhl für Europäische Studien an der Fakultät für Internationale Beziehungen der Staatlichen Universität Sankt Petersburg und Experte des Waldai-Clubs, ist der Ansicht, dass Lawrow mit seinen Äußerungen zur "Russenfrage" gewissermaßen in das Spielfeld des Westens getreten ist, der seine außenpolitische Ideologie stets mit der "absoluten Verurteilung von Völkermord und Holocaust begründet hat". Der Westen habe "das Thema Holocaust sozusagen monopolisiert" und setzt es zu seinen Gunsten argumentativ ein.

Was die Rolle von Borrell selbst angeht, so hat er für Russland "sein Ansehen als vollwertiges Subjekt eingebüßt". Zum ersten Mal wurde dies bei seinem Besuch in Moskau im Februar letzten Jahres deutlich – kurz vor dem Beginn der militärischen Spezialoperation Russlands in der Ukraine. Im Laufe dieses unterkühlten Treffens kritisierte Lawrow die westlichen Länder für die Nichteinhaltung von Menschenrechten. Während des gemeinsamen Mittagessens erfuhr Borrell von der Ausweisung dreier europäischer Diplomaten aus Russland – wegen deren [gänzlich undiplomatischer] "Teilnahme an Protestaktionen".

"Im Februar haben der Minister und unser Protokoll gezeigt, dass Borrell für sie kein würdiger Partner mehr sei. Diese Querelen zwischen dem Außenministerium und Borrell ist das Rückzugsgefecht der eigentlichen Konfrontation zwischen Russland und Europa. Jetzt sind im Rahmen der Spezialoperation unsere Hauptgegner Brüssel, Deutschland und Frankreich, aber bestimmt nicht Borrell, der versucht, im Namen Europas zu sprechen, obwohl wir doch wissen, dass er solche Befugnisse gar nicht hat", meint der Politikwissenschaftler.

Unterstützung erhielt Lawrow vom stellvertretenden Vorsitzenden des russischen Sicherheitsrates, Dmitri Medwedew, der den Konflikt Russlands mit der Ukraine und dem Westen als einen neuen Vaterländischen Krieg bezeichnete. Er ist vom Sieg Moskaus überzeugt, so wie es auch 1812 und 1945 der Fall war. Medwedew schrieb in seinem Telegram-Kanal:

"Braver Junge, dieser Borrell mit seinem nichtssagenden Gesicht. Erinnert mich daran, dass unser Land Napoleon und Hitler besiegt hatte. Beachten Sie, dass er selbst diesen Vergleich gezogen hat. Dementsprechend sind die Ukronazis und Westeuropa direkte Nachkommen derjenigen, die gegen Russland Krieg führten. Und der Krieg mit ihnen ist daher ein neuer Vaterländischer Krieg."

Sergei Ordschonikidse, Mitglied der Öffentlichen Kammer und ehemaliger stellvertretender UN-Generalsekretär, unterstreicht, dass Lawrow "ins Schwarze getroffen" hatte, denn niemand gesteht gerne eigene Verbrechen aus der Vergangenheit ein, schon gar nicht im Westen. "Borrell kennt bestimmt die Geschichte und muss auf dem Laufenden sein, dass die Freiwilligentruppen der 'España Franquista' innerhalb der Wehrmacht – als 'Blaue Division' – während des Zweiten Weltkriegs an der Ostfront gegen die Sowjetunion kämpften. Damals kämpften Militärkontingente aus praktisch allen unterworfenen europäischen Ländern gegen uns. Natürlich können und wollen sie sich nicht an ihre Verbrechen erinnern oder erinnert werden. Wir aber haben sie daran erinnert, und das hat eine so starke Reaktion hervorgerufen", erläuterte der Diplomat.

Nach Meinung von Ordschonikidse beteiligt sich die EU mindestens indirekt, wenn nicht bereits sogar direkt, am Ukraine-Konflikt, indem sie Waffen liefert, "die russische Soldaten und Zivilisten töten". "Die NATO und das Oberkommando der EU bestehen aus Vertretern von Ländern mit begrenzter Souveränität. Meine europäischen Kollegen waren immer sehr beleidigt, wenn ich ihnen sagte, dass ich sie als Schauspieler und Herolde betrachte, die nach einem in Washington geschriebenen Drehbuch spielen. Doch wie sonst sollte man die Präsenz amerikanischer Militärstützpunkte auf dem Gebiet der Europäischen Union interpretieren? Wie soll man unter diesen Bedingungen eine unabhängige Außenpolitik betreiben? Das ist absurd. Damit hängt auch eine immer stärkere wirtschaftliche Abhängigkeit von den USA zusammen. Die Tatsache etwa, dass Frankreich und Deutschland mit der Position der USA in der Irak-Frage nicht einverstanden waren, hatte überhaupt keine Bedeutung", zählte der Experte zur Begründung auf.

Übersetzt aus dem Russischen und zuerst erschienen bei Wsgljad.

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