Meinung

Größenwahn: Politikberater fordert Ausweitung der Konfrontation mit Russland

Mit seinen Empfehlungen für eine neue Ostpolitik bereitet der Politologe Stefan Meister Deutschland den Weg in die Isolation, die Verelendung und den Krieg. Die Bundesregierung wird seinen Vorschlägen voraussichtlich dennoch folgen.
Größenwahn: Politikberater fordert Ausweitung der Konfrontation mit RusslandQuelle: www.globallookpress.com © IMAGO/Klaus W. Schmidt

Von Gert Ewen Ungar

Wer erfahren möchte, in welche Richtung sich die deutsche Außenpolitik entwickelt, sollte die Seite der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) im Blick haben. Der mit Steuergeldern finanzierte Think-Tank berät die Politik und liefert dabei mehr als nur Hintergrundinformationen für Politiker, um diesen eine gute, sachliche Grundlage für ihre Entscheidungen bereitzustellen. 

Vielmehr bietet die DGAP fertig ausgearbeitete Konzepte, die von der aktuellen Regierung bereitwillig übernommen und umgesetzt werden. Wer etwa die Vorschläge des Auswärtigen Amtes zur China-Strategie betrachtet, erkennt darin eins zu eins die Ideen der DGAP wieder. Auch in Richtung China sind die Weichen auf Konfrontationskurs gestellt. Ob eine aggressive Außenpolitik aber auch im Interesse der Bürger ist, interessiert in der deutschen Politik niemanden. Während einseitig transatlantisch ausgerichtete Think-Tanks wie die DGAP mit ihren Empfehlungen direkten Zugang zu Regierung und Parlament haben, bleiben die Bürger und ihre elementaren Interessen außen vor. Obwohl die deutsche Konfrontationspolitik massiven Einfluss auf das Leben der Bürger hat, spielen diese Interessen bei der Entscheidungsfindung keine Rolle. Das ist das große Manko der parlamentarischen Demokratie. Der Wähler legt daher sein Schicksal in andere, an Anderem interessierte Hände. Die Interessen der Deutschen vertritt die DGAP jedenfalls nicht. 

Konfrontativ blickt die Organisation aber nicht nur auf China, konfrontativ blickt sie auch auf Russland. Daher ist zu erwarten, dass das Auswärtige Amt eine Russland-Politik fahren wird, mit der es die Spannungen weiter verstärkt. Das verdeutlicht ein Dossier mit dem Titel "Nach der Ostpolitik – Lehren aus der Vergangenheit als Grundlage für eine neue Russland- und Osteuropapolitik". Verfasst hat es der Politologe Stefan Meister. 

Stefan Meister betreute bei der grünen Heinrich-Böll-Stiftung das für den Südkaukasus zuständige Ressort. Meister pflegt einen einseitigen Blick auf Russland, übernimmt unhinterfragt gängige Klischees und das entsprechende Wording. Meister zufolge hat man es in Russland beispielsweise mit einem "Regime" zu tun. 

Das Dossier ist thesenhaft gehalten, Belege für die von Meister getroffenen Aussagen gibt es kaum, und wenn doch, kommen sie vom Spiegel oder aus der Süddeutschen. Beide Blätter sind bislang jedoch nicht gerade mit einer sehr ausgewogenen Russland-Berichterstattung aufgefallen.

Zudem kehrt Meister tatsächliche Abläufe einfach um. Russland habe Minsk II nicht umgesetzt, die Ukraine dagegen schon, lautet seine durch Fakten nicht belegbare Behauptung.

"Andererseits hielt die Bundesregierung an den Minsker Abkommen fest, auch als immer deutlicher wurde, dass die russische Seite sie nicht umsetzen würde", schreibt Meister und behauptet weiter: "So lag der Handlungsdruck, durch Entgegenkommen gegenüber Moskau sowie eigene Angebote, das Abkommen zu retten, meist einseitig auf Seiten der Ukraine." 

Das ist angesichts der tatsächlichen Abläufe eine ziemlich gewagte Behauptung. Erstaunlich ist, dass Meister sogar Merkels Argument anführt, mit dem Minsker Abkommen wäre der Ukraine Zeit zur Aufrüstung verschafft worden. Meisters Publikation ist auf den 05. Dezember datiert, die Zeit veröffentlichte das Interview mit Merkel am 07. Dezember. Wer hier wen inspiriert hat, darüber lässt sich trefflich spekulieren. Beiden gemeinsam ist jedoch, dass sie behaupten, das Minsker Abkommen diente dazu, der Ukraine Zeit zur Aufrüstung zu verschaffen. Frieden war nicht das Ziel.

"Durch massiven diplomatischen Einsatz hat Deutschland gemeinsam mit Frankreich im Februar 2015 wahrscheinlich verhindert, dass die russischen Streitkräfte die erst im Neuaufbau befindliche ukrainische Armee weiter zurückdrängen und schon damals zusätzliche Territorien besetzen konnten. So wurde die russische Aggression zumindest ausgebremst und der Ukraine eine wichtige Atempause verschafft, die ihr Zeit zum Ausbau der eigenen Verteidigung gab. Gleichzeitig entwickelte sich Deutschland zu einem für die Ukraine wichtigen Partner, der nie nur Vermittler war, sondern das Land auch bei seinem legitimen Ziel unterstützte, die volle Souveränität über die im Donbass besetzten Gebiete zurückzuerlangen."

Meisters Argumentation ist insgesamt schlampig und in sich widersprüchlich. Schlampig beispielsweise, wenn er behauptet, Deutschland habe unsolidarisch gegenüber der Ukraine agiert, da es die Verschärfung der Sanktionen nicht als Mittel erwogen habe, Druck auf Russland auszuüben. Das ist angesichts der Sanktionsorgie der EU gegen Russland einfach falsch. Das Sanktionsregime gegen Russland wurde in kurzer Taktung ständig verschärft und ausgeweitet. 

Das Dossier ist schlecht recherchiert und voller Fehler. Das fängt schon in der Einleitung an. Dort platziert Meister eine Grafik, welche die unterschiedlichen Erweiterungsrunden der NATO zeigen soll. Der Grafik zufolge sind allerdings die baltischen Staaten nicht in der NATO. Ein peinlicher Schnitzer und bei Weitem nicht der einzige. Für eine sachgerechte Politikberatung ist eine derart stümperhaft verfasste Arbeit absolut ungeeignet. 

Man bekommt den Eindruck, der Text sei auf die Schnelle zusammengeschustert worden, um den schon vorab feststehenden Forderungen den Anstrich einer wissenschaftlichen oder zumindest sachlichen Untermauerung zu geben. Das ist aber keineswegs der Fall. Von sachlicher Argumentation und der Berücksichtigung anderer Standpunkte und Sichtweisen ist das als Analyse getarnte Pamphlet himmelweit entfernt. 

Die Forderungen, die Meister stellt, sind dementsprechend unausgereift und wenig durchdacht: Der kooperative Ansatz sei gescheitert und Russland nun Gegner, so seine These. Die Ukraine müsse über Russland siegen und Deutschland alles für diesen Sieg tun. Deutschland solle in Bezug auf die Russland-Politik der EU und Europas die Führungsrolle einnehmen. Wichtig sei, alles dafür zu tun, dass Abhängigkeiten von Russland gemindert und das Sanktionsregime aufrechterhalten wird. Deutschland solle weiterhin versuchen, sich in die inneren Angelegenheiten Russlands einzumischen, um dadurch eine Änderung der Politik des Kremls zu bewirken. Da Russland den Umtrieben westlicher NGOs in Russland aber einen Riegel vorgeschoben hat, bleibe noch die Beeinflussung und Steuerung von in Deutschland lebenden Kritikern, um mit diesen Einfluss auf die russische Politik zu nehmen.

Aus den von Meister gemachten Vorschlägen spricht die reine Arroganz und eine tief sitzende koloniale Weltsicht. Sie sind obendrein brandgefährlich. Mit seinen Handlungsempfehlungen bereitet Meister den Weg in einen dritten Weltkrieg, denn es ist völlig offenkundig, dass Russland nicht zulassen wird, dass die Ukraine siegreich aus dem Konflikt hervorgeht. Militäranalysten wie Scott Ritter haben klar herausgearbeitet, dass Europa zu atomarem Staub zerfällt, ehe dies passiert. In ihrer politischen Naivität sind diese Empfehlungen daher hochgefährlich. 

Sie wurzeln geistig in einer völligen Überschätzung der Position und der Möglichkeiten Deutschlands. Man kann nur hoffen, dass sie ungehört bleiben. Zu dieser Hoffnung gibt es allerdings nur wenig Anlass. Insbesondere das Baerbock-Ministerium setzt die Empfehlungen der DGAP völlig unkritisch um. Und das bedeutet Meister zufolge konkret, dass derzeit "Sicherheit in Europa nicht mit, sondern nur gegen Russland möglich" ist. Zu Ende gedacht bedeutet das, dass es in Europa keine Sicherheit geben wird. 

Dass es Sicherheit nur gemeinsam oder gar nicht gibt, war die Logik der Abkommen aus der Zeit des Kalten Krieges. Von der Schlussakte von Helsinki bis hin zur Charta von Paris wird betont, dass Sicherheit ein gemeinsames Projekt ist. Kein Land und keine Region darf seine Sicherheit auf Kosten der anderen erhöhen. Genau gegen dieses Prinzip haben die EU und die NATO in der Ukraine verstoßen. Das Ergebnis ist Krieg. 

Meister leugnet diesen Zusammenhang und fällt in das alte Großmachtdenken zurück. Er möchte die Asymmetrie in der europäischen Sicherheitsarchitektur festschreiben und verstetigen. Historisch sind diese paneuropäischen Machtansprüche für Deutschland immer schlecht ausgegangen. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass es diesmal anders kommen könnte.

Was Meister nämlich außer Acht lässt, sind die Entwicklungen in anderen Teilen der Welt. Entgegen der Behauptung, dass Russland isoliert sei, ist vielmehr Fakt, dass sich der Westen selbst mit seiner aggressiven und kompromisslosen Haltung in diesem Konflikt in die Isolation begeben hat. Die deutsche Außenpolitik beißt auf Granit, wenn sie etwa Indien, die zentralasiatischen Länder, die Türkei oder gar China zur Unterstützung des westlichen Sanktionsregimes bewegen will. Außenministerin Baerbock blitzt regelmäßig ab, wenn sie von anderen Ländern die Übernahme der Formulierung des "brutalen Angriffskrieges Russlands" fordert. 

Es gehört zu einer umfassenden Politikberatung, auf diesen Umstand hinzuweisen und Empfehlungen zu erarbeiten, die dem entgegenwirken und die deutsche Fehlentwicklung korrigieren. Meister tut das Gegenteil.

Für Deutschland ist das gefährlich. Denn das Land verfügt weder über die ökonomischen noch die militärischen Mittel, in einer weitergehenden Konfrontation mit Russland zu bestehen – wie eigentlich immer in der deutschen Geschichte. Aktuell ist der EU zu wünschen, dass der Ukraine-Konflikt möglichst zügig zu Ende geht. Mit der Zerstörung der ukrainischen Infrastruktur durch Russland werden die Kosten für die Unterstützung der Ukraine durch die EU mit jedem Tag höher. Dass die Ukraine diesen Konflikt für sich entscheiden und Russland zu Reparationszahlungen zwingen könnte, ist keine realistische Option. Dass Meister so tut, als wäre sie dies dennoch, zeugt entweder von einem unglaublichen Ausmaß an politischer Naivität oder vom Willen, den europäischen Kontinent und Deutschland ins Verderben zu stürzen.

Stefan Meister zeigt sich unwillig, historische Fakten zur Kenntnis zu nehmen und aus ihnen zu lernen. Folgen die Entscheidungsträger den Empfehlungen des Politikwissenschaftlers, stehen den Deutschen schwierige Zeiten bevor. Sie führen in Verelendung und Krieg.

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