Meinung

Liz Truss offenbart die gegenwärtige Instabilität westlicher Demokratien

Die Turbulenzen in der britischen Innenpolitik könnten verheerende Folgen haben. Sie spiegeln auch den aktuellen Zustand des kollektiven Westens wider, wo wirtschaftliche und politische Instabilität dramatisch zugenommen haben.
Liz Truss offenbart die gegenwärtige Instabilität westlicher Demokratien© Geoff Caddick / AFP

Von Graham Hryce

Selbst die glühendsten Verfechter einer angeblichen Stabilität in den westlichen Demokratien müssen vergangene Woche durch die außerordentliche wirtschaftliche und politische Krise, die von der neuen britischen Premierministerin Liz Truss ausgelöst wurde, erschüttert worden sein.

Noch in derselben Woche, in der Schatzkanzler Kwasi Kwarteng der Premierministerin ein "Mini-Budget" übergab, stürzten das englische Pfund und der Markt für Staatsanleihen ab. Die Zinsen und Hypothekenzinsen stiegen an, wobei einige Hypothekenmärkte sogar schlossen, die Bank von England sah sich zu einer höchst ungewöhnlichen fiskalischen Intervention genötigt, um den Zusammenbruch großer Pensionsfonds zu verhindern. Und der IWF kritisierte Truss auf eine Weise, die normalerweise den Staatschefs von hoch verschuldeten Bananenrepubliken vorbehalten ist.

Die globale Bedeutung dieser Ereignisse und die anhaltenden wirtschaftlichen und politischen Verwerfungen, die sie unweigerlich verursachen, sollten nicht unterschätzt werden. Der politische Kommentator Alastair Campbell, ehemaliger Stabschef von Tony Blair, beschrieb besagte Woche zutreffend als "die Woche, in der sich alles änderte".

Aber was führte zur britischen Wirtschaftskrise? Ganz einfach die Tatsache, dass das Mini-Budget Steuersenkungen im Wert von Milliarden von Pfund vorsah, die nicht finanziert werden können – einschließlich der provokativen Senkung des obersten Einkommensteuersatzes. Dies veranlasste die Finanzmärkte, ein ernsthaftes Misstrauensvotum gegenüber der Regierung Truss auszusprechen, mit allen damit verbundenen Konsequenzen. Die Ereignisse dieser Woche deckten übrigens auch auf, wo im Westen letztlich die wirkliche Macht liegt, und sie liegt definitiv nicht bei der Politik.

Das Mini-Budget von Truss war natürlich ein Produkt roher neoliberaler Wirtschaftsideologie, an die sie so fanatisch glaubt und was sich als entscheidend erwies, um die etwa 80.000 Stimmen der Thatcher anbetenden Mitglieder der Tories einzusammeln, die Truss vor ein paar Wochen zur Premierministerin gesalbt haben. Angesichts einer von ihr selbst verursachten wirtschaftlichen Katastrophe – eine ihrer ersten Handlungen als Premierministerin war die Entlassung des Leiters des Finanzministeriums – legte Truss einfach nach und zog sich danach gereizt in ihren Bunker in der Downing Street zurück.

Sie tauchte dann Ende vergangener Woche kurz wieder auf, um eine Reihe katastrophaler Radiointerviews mit regionalen BBC-Sendern zu führen, in denen Truss weiterhin wie ein Sprechautomat die Vorteile der "Trickle-down-Ökonomie" anpries und erfolglos versuchte, die Wirtschaftskrise ausschließlich Russland und seinem Präsidenten Präsident Wladimir Putin sowie dem Konflikt in der Ukraine anzulasten.

Es überrascht nicht, dass die überwiegende Mehrheit der Kommentatoren im Vereinigten Königreich – unabhängig von ihrer politischen Zugehörigkeit – das Mini-Budget von Truss und die Premierministerin selbst scharf kritisiert hat. Sogar der Kolumnist des Daily Telegraph, Ambrose Evans-Pritchard, beschuldigte Truss, "einen Kurs des reinen Wahnsinns eingeschlagen" zu haben.

Die Unnachgiebigkeit von Truss bedeutet jedoch, dass sich die aktuelle Wirtschaftskrise nur noch verschärfen kann – mit Vorhersagen eines Zusammenbruchs des Immobilienmarktes als die nächste wahrscheinliche Katastrophe, die das Vereinigte Königreich heimsuchen wird.

Der anhaltende Bahnstreik in Großbritannien hat sich vergangene Woche intensiviert, und Ende November wird es ohne Zweifel zu weiteren wirtschaftlichen Erschütterungen kommen, wenn Truss und Kwarteng sich dann herabgelassen haben, die große Bandbreite an Kürzungen bei den Ausgaben zu skizzieren, mit denen die im Mini-Budget vorgesehenen Steuersenkungen finanzieren werden sollen.

Der Versuch von Truss, die tiefsitzenden Probleme zu lösen, die die britische Wirtschaft heimgesucht haben, sind durch die Anwendung einer neoliberalen Wirtschaftspolitik spektakulär gescheitert. Und diese Probleme sind alles andere als trivial, darunter die Jahrzehnte der Lohnstagnation, die zunehmende Verarmung der Arbeiterklasse und der Mittelschicht, die immer größer werdende Kluft zwischen Arm und Reich, der dramatische Anstieg der Energie- und Lebenshaltungskosten sowie die Krise beim bezahlbaren Wohnraum.

Dies sind alles ominöse Zeichen für westliche Demokratien im Allgemeinen, weil beträchtliche Teile der globalen Eliten, die sie regieren, nach wie vor feste Anhänger der auf Gier basierenden, rohen neoliberalen Wirtschaftstheorien sind, die Truss und Kwarteng so stur vertreten. Diese Eliten glauben nicht daran, dass Adel verpflichtet, und setzen sich dafür ein, den sozialdemokratischen Konsens zu kippen, der im Vereinigten Königreich von Clement Attlee bis zur Wahl von Margaret Thatcher vorherrschte.

Unabhängig davon sollte intelligente Beobachter vor allem die nachweisbare Fragilität eines Wirtschaftssystems beunruhigen, das innerhalb weniger Tage nach der Bekanntgabe eines Mini-Budgets in eine schwere Krise gerät – egal, wie fehlgeleitet und dumm das war.

Leider ist die von Truss gedankenlos geschaffene politische Krise vielleicht sogar noch schwerwiegender als die Wirtschaftskrise, weil das unmittelbare politische Dilemma das ist, was sich die Tories jetzt gegenübersehen. Die negativen Reaktionen auf die Ereignisse in der besagten Woche waren so heftig, dass bereits jetzt klar ist, dass die Konservativen die nächsten Wahlen unmöglich gewinnen können und dass Truss realistischerweise nicht lange Premierministerin bleiben kann.

Eine Ende vergangener Woche durchgeführte Umfrage hat gezeigt, dass die Labour-Partei die Tories jetzt mit erstaunlichen 33 Prozentpunkten anführt – gegenüber 17 Punkten kurz vor der Verabschiedung des Mini-Budgets. In einer einzigen Woche hat Truss somit das geschafft, wozu seit Jahrzehnten kein Labour-Anführer mehr in der Lage war – nämlich Labour einen scheinbar unanfechtbaren Vorsprung in den Umfragen zu verschaffen. Truss scheint auch eine bedeutende Annäherung zwischen dem Labour-Vorsitzenden Keir Starmer und den Gewerkschaften herbeigeführt und die Labour-Partei allgemein gestärkt zu haben. Was Truss selbst betrifft, so schrieb Alastair Campbell vergangene Woche: "Sie ist tot ... sie ist tot."

Nach den bestehenden Parteiregeln der Tories kann Truss jedoch zwölf Monate lang nicht herausgefordert werden – und selbst wenn man es könnte, müsste ein neuer Vorsitzender durch denselben langwierigen und zutiefst fehleranfälligen Prozess gewählt werden, der Truss vor Kurzem als Parteivorsitzenden hervorgebracht hat.

Der einzige Ausweg aus dieser schlimmen Situation wäre, dass Truss zurücktritt und ersetzt wird, ohne dass es eines Wettbewerbs um die Führung der Partei bedarf. Aber Truss zeigt absolut keine Anzeichen dafür, ihre Position aufzugeben, und selbst wenn sie es tun würde, würde die daraus resultierende Spaltung innerhalb der Tories sicherlich einen Wettbewerb um die Führung unvermeidlich machen. Und natürlich würde ein weiterer Wechsel in der Führung der Tories die Partei noch unwählbarer machen, als sie es jetzt schon ist.

Unter diesen Umständen besteht meines Erachtens eine sehr reale Möglichkeit, dass sich die Partei der Tories spaltet, wobei der neoliberale Flügel von Truss ausgliedert und einen Rumpf zurücklässt, der sich an der Politik von David Cameron orientiert. Aus einer solchen Spaltung könnte eine neue rechtspopulistische Partei hervorgehen. Wenn dies geschieht, dann würde dies widerspiegeln, was sich in den vergangenen Jahren innerhalb konservativer Parteien in einigen anderen westlichen Demokratien ereignet hat. Aber was auch immer passiert, es besteht kein Zweifel darüber, dass die unglücklich agierende Truss das Privileg haben wird, dem Untergang der zeitgenössischen Konservativen Partei vorgestanden zu sein.

Der am vergangenen Sonntag begonnene Parteitag der Tories in Birmingham, der verständlicherweise von zahlreichen wütenden und verärgerten Hinterbänklern boykottiert wird, versprach ein sehr interessantes Ereignis zu werden. Es begann für Truss schlecht, als der prominente Abgeordnete Michael Gove ihr Mini-Budget als "nicht konservativ" verurteilte und damit andeutete, dass er und andere Abgeordnete im Parlament gegen die Steuersenkungen von Truss stimmen könnten. Dies veranlasste Truss, in Panik zu geraten und die Senkung des oberen Einkommenssteuersatzes rückgängig zu machen, was ihre Glaubwürdigkeit nur noch weiter beschädigte.

Die politische Krise, die sich derzeit im Vereinigten Königreich abspielt, hat eine Reihe von inhärenten Mängeln innerhalb eines politischen Systems aufgezeigt, das derzeit in den meisten westlichen Demokratien herrscht. Dazu gehören:

Erstens, jedes politische System, das zulässt, dass ein echter Premierminister wie Boris Johnson wegen einiger geringfügiger Vergehen abgesetzt und durch jemanden ersetzt wird, der so nachweislich inkompetent ist wie Liz Truss, ist unwiederbringlich kaputt.

Zweitens, jedes politische System, das einen raschen und regelmäßigen Wechsel von Führungspersönlichkeiten fördert und zulässt, wird die anhaltende allgemeine politische Instabilität nur aufrechterhalten.

Drittens, Parteiführer sollten von den Mitgliedern des Parlaments gewählt werden, nicht von den Parteimitgliedern. Die Wahl durch die Mitglieder mindert die Qualität der Kandidaten und der Politik gleichermaßen und führt zu anhaltender Instabilität und Destabilisierung, wenn der gewählte Führer nicht die Unterstützung einer Mehrheit der Parlamentarier genießt. Dies war unter der Führung von Jeremy Corbyn bei der Labour-Partei der Fall und ist jetzt sicherlich auch bei Truss der Fall.

Viertens, die Politik muss eine weit bessere Qualität an Politikern anziehen, als sie es derzeit tut.

Fünftens, eine Spaltung der Konservativen Partei kann zu einer besonders gefährlichen Entwicklung führen, nämlich zur Bildung einer neuen rechtspopulistischen Partei, wie sie kürzlich in Deutschland, Schweden, Italien und anderswo im Westen entstanden sind. Eine solche Entwicklung kann die Politik nur noch mehr destabilisieren, so wie sie es in jedem dieser Länder getan hat.

Ob es möglich ist, eine der oben genannten Reformen zu erreichen oder das Entstehen einer populistischen Partei in Großbritannien zu verhindern, sind meiner Meinung nach sehr offene Fragen. Es war immer offensichtlich, dass Truss eine Politikerin vierter Klasse ist. Ihr fehlt es völlig an echter Intelligenz, Empathie für die Wähler und politischem Urteilsvermögen. Aber Truss ist deswegen nicht schlechter als jeder durchschnittliche Politiker, der heutzutage hohe Ämter in westlichen Demokratien erreicht.

Ich bezweifle, dass Truss noch lange als Premierministerin überleben wird, und darüber hinaus scheint sie in der Politik keine Zukunft zu haben. Ihre vielleicht bedeutendste politische Leistung besteht dann wohl darin, in der kurzen Zeitspanne von nur einer Woche, die inhärente und grundlegende Instabilität der wirtschaftlichen und politischen Systeme, die derzeit im Westen herrschen, dramatisch hervorgehoben zu haben.

Übersetzt aus dem Englischen.

Graham Hryce ist ein australischer Journalist und ehemaliger Medienanwalt, dessen Arbeiten in The Australian, Sydney Morning Herald, Age, Sunday Mail, Spectator und Quadrant veröffentlicht wurden.

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