Meinung

Arbeiten bis zum Umfallen: Wirtschaftslobby will Ausbeutung weiter verschärfen, um Profit zu sichern

Der mächtige Arbeitgeberverband Gesamtmetall fordert deutlich längere Wochen- und Lebensarbeitszeiten, um die Krise zugunsten der Konzerne zu meistern. Angesichts der technologischen Entwicklung sowie der real zu erwartenden Auswirkungen ist das absurd.
Arbeiten bis zum Umfallen: Wirtschaftslobby will Ausbeutung weiter verschärfen, um Profit zu sichernQuelle: www.globallookpress.com © imago stock&people

von Susan Bonath

Blutig erkämpfte die Arbeiterbewegung einst Achtstundentage und Altersrenten. Die "soziale Marktwirtschaft" mit ihren Gerechtigkeitsversprechen stellte die Lohnabhängigen nach 1945 dann weitgehend ruhig. Doch spätestens seit der Abwicklung des "Ostblocks" Anfang der 1990er Jahre geht es rückwärts: Der Abbau sozialer Rechte schreitet voran, unbezahlte Überstunden sind an der Tagesordnung und das Renteneintrittsalter steigt. Unternehmerverbände rufen nach immer neuen Schikanen gegen Beschäftigte.

Unter dem Vorwand der Alternativlosigkeit trommelt aktuell der Arbeitgeberverband Gesamtmetall nicht nur für eine Benachteiligung privater Haushalte bei der Gasversorgung, sondern auch für eine weitere Verlängerung der Wochen- und Lebensarbeitszeit. Den Zeitungen der Funke Mediengruppe sagte dessen Präsident Stefan Wolf aus seinem (vermutlich bequemen und gut bezahlten) "Homeoffice in Süddeutschland" wörtlich:

"Schaut man sich die demografische Entwicklung und die Belastungen der Sozial- und Rentenkassen an, dann sind die Reserven aufgebraucht. Wir werden länger und mehr arbeiten müssen. Stufenweise werden wir auf das Rententeintrittsalter von 70 Jahren hochgehen müssen – auch weil das Lebensalter immer weiter steigt. Ansonsten wird das System mittelfristig nicht mehr finanzierbar sein."

So plädierte Wolf neben der Rente mit 70 zusätzlich für die Verlängerung der regulären Wochenarbeitszeit von 40 auf vorerst 42 Stunden. Das wäre das Ende des Achtstundentages – eine der ältesten Forderungen der Arbeiterbewegungen seit dem frühen 19. Jahrhundert. In Deutschland wurde dieser 1918 erstmals gesetzlich verankert.

Niedriglohn und unbezahlte Mehrarbeit

Mit Blick auf die "digitale Revolution", die immer mehr Arbeitsplätze überflüssig macht, erscheint Wolfs Forderung ziemlich irrational. In vielen Ländern, auch europäischen, erreichen Arbeitslosigkeit und Armutsquote immer neue Rekordhöhen. Auch die Löhne hinken zusehends hinter der Inflation her.

In Deutschland arbeitete zum Beispiel 2018 nach offiziellen Angaben des Statistischen Bundesamtes mehr als jeder fünfte abhängig Beschäftigte zu einem Niedriglohn. Damit befand sich die Bundesrepublik im EU-Vergleich an sechster Stelle von oben, hinter Lettland, Litauen, Estland, Polen und Bulgarien.

Außerdem leisteten die rund 34,4 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland im vergangenen Jahr fast 900 Millionen unbezahlte Überstunden. Die Dunkelziffer ist unbekannt. Zuletzt hat diese Form der Ausbeutung, der sich viele aus Angst vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes fügen, wieder zugenommen.

Erwerbslosigkeit auf hohem Niveau

Zugleich lebten nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit (BA) zuletzt rund 5,6 Millionen Menschen in Hartz-IV-Haushalten, darunter mehr als 1,5 Millionen Kinder. Die Zahl der Leistungsberechtigten hat sich seit der Einführung der Grundsicherung für Arbeitssuchende nur wenig verändert.

Die BA verzeichnet aktuell nach einer kurzen Erholung eine Zunahme der Hartz-IV-Betroffenen. Im Juli waren demnach etwa 200.000 Haushalte mit über 400.000 Personen mehr als im Mai dieses Jahres von diesen Leistungen abhängig. Fast jeder vierte betroffene Erwachsene war letztes Jahr trotzdem berufstätig, verdiente aber so wenig, dass er aufstocken musste.

Auch langfristig dürfte eine Vollbeschäftigung, mit der einst die BRD zur Zeit des "Wirtschaftswunders" prahlte, nicht zu erwarten sein. Aufgrund der technologischen Entwicklung rechnet die Wirtschaft allein in der Fertigungsindustrie mit einem Abbau von 1,3 Millionen Jobs in den kommenden drei Jahren.

30 Jahre Rentenkürzungen

Statt die Arbeitszeiten bei vollem Lohnausgleich zu verringern, setzt die Politik seit gut zehn Jahren schrittweise das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre herauf. Das Gesetz fokussiert dabei auf das Geburtsjahr: Aktuell können Beschäftigte, die 1956 geboren wurden, regulär mit 65 Jahren und zehn Monaten in Rente gehen. Die Altersgrenze von 67 gilt erstmals ab 2031 für den Geburtsjahrgang 1964.

Die Anhebung des Renteneintrittsalters ist in Wahrheit eine Rentenkürzung. Wolf begründet seine noch weitergehenden Wünsche dahingehend mit einem Anstieg der Lebenserwartung. Mit anderen Worten: Alte Menschen sind aus Sicht der Marktideologie unproduktiv und verursachen wie Erwerbslose Kosten. Die bezahlt zwar der Staat. Dieser muss sich allerdings das Geld über Steuern zurückholen – sowohl von Unternehmen als auch von Beschäftigten. Das schmälert den Profit. Aus dem Blickwinkel von Marktökonomen ist Wolfs Forderung nur folgerichtig.

Wirft man einen Blick auf die sogenannten Rentenreformen der vergangenen 30 Jahre, so wird schnell deutlich: Ein Rentenkürzungsprogramm jagte seither das nächste, lediglich unterbrochen von Trippelschritten des vorsichtigen Zurückruderns. Bereits die Abwicklung der DDR ging mit einer Anhebung des Rentenalters und der Einführung von Abschlägen einher. 2001 senkte der Gesetzgeber das Rentenniveau weiter, 2004 beschloss er die Besteuerung der Altersbezüge. All diesen Gesetzesbeschlüssen gingen entsprechende Forderungen aus der Wirtschaft voraus.

Marktideologie mit Tücken

Womöglich werden sich Fließbandarbeiter also bald entscheiden müssen, ob sie mit dem Rollator zur Arbeit schieben oder sich mit vorzeitiger Hungerrente zufriedengeben. Auch in Seniorenheimen könnte es dann schwerfallen, zwischen Bedürftigen und Pflegekräften zu unterscheiden, während immer mehr junge Menschen keinen Arbeitsplatz finden, von dem sie leben können.

Vorausgesetzt ist natürlich, die Lohnabhängigen erreichen überhaupt den 70. Geburtstag, wenn erst die Wohnungen kalt bleiben. Der Präsident des mächtigen Unternehmerverbandes Gesamtmetall ist nämlich auch nicht für eine Deckelung der Gaspreise für die Bevölkerung. Er sagte: "Grundsätzlich bin ich für die freien Regelungskräfte des Marktes." Weshalb er sich auch gegen Lohnerhöhungen ausspricht.

Doch diese Marktideologie hat Tücken: Wenn Erwerbslose keinen Job finden, Beschäftigte bis ins Greisenalter schuften sollen, ihre Löhne aber trotzdem nicht für das Nötigste reichen, und wenn ihnen obendrauf kalte Wohnungen ein frühes Ableben bescheren, bleiben die Konzerne so oder so auf ihren Waren sitzen. Dann brechen die Profite trotzdem ein. Daran ändert das auch von Wolf heraufbeschworene Feindbild in Gestalt des russischen Präsidenten Wladimir Putin nichts.

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