Pandemie! Aber Hauptsache der Ball rollt – im Profifußball
von Kaspar Sachse
Na, haben Sie auch mitgefiebert, wie die Bayern am Dienstag das Olympiastadion in Rom "erobert" haben, wie der Kicker am Folgetag titelte? Oder war es Ihnen wie immer egal, da Fußball für Sie so interessant ist wie die bayerische Küche für Veganer? Wie auch immer, abgesehen von April und Mai 2020 rollt der Ball beständig in der Bundesliga und in internationalen Wettbewerben wie der Champions League.
Die Edel-Kicker rennen, hecheln, spucken, jubeln – kurzum, es wird fröhlich und körperbetont gekickt wie vor der Krise. Kritik an der "Parallelwelt Profifußball" ist zwar hin und wieder vernehmbar, doch scheint der Wille bei der Politik und freilich die Macht von Funktionären, die Gelddruckmaschine Fußball am Laufen zu halten, größer zu sein als medizinische oder gar ethische Bedenken.
An kaum einer anderen Thematik zeigen sich die Widersprüche der "Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie" so deutlich wie beim Profifußball. Während viele Selbstständige seit fast einem Jahr mit Berufsverbot belegt sind und weiterhin auf staatliche Unterstützung warten sowie Millionen Arbeitnehmer in Kurzarbeit verharren, kann man topfrisierte Fußballmillionäre zur besten Sendezeit im TV sehen.
Wenn der Bürger weder selber kicken noch ins Fitnessstudio, Schwimmbad, auf dem Golfplatz oder, wie zuletzt in Hamburg beschlossen, an der Alster nur noch mit Maske joggen darf, so soll er doch wenigstens anderen beim Sport machen zusehen dürfen – Brot und Spiele par excellence. Das freilich nur digital, denn stimmungsvolle, singende, vielleicht sogar angetrunkene Fans im Stadion – das war eine andere Zeit, die so niemals wiederkommen wird.
Nicht-personalisierte Tickets, übergroße Zaunfahnen oder gar Feuerwerk wurden allerdings schon vor Corona aus den Stadien entfernt. Das ist symptomatisch für eine Gesellschaft, die zwischen Freiheit und Sicherheit, koste es was es wolle und sei es rational oder nicht, immer stärker zu Letzterer drängt bzw. gedrängt wird. Doch bereits vor Corona hat sich offenbart, wie der Fußball seine Seele verkauft hat und dieser Pakt mit dem Teufel, Pardon, mit der Kommerzialisierung von allem und jeden nun final ratifiziert wird.
Wer freilich Lust auf Maske, Schnelltest und alkoholfreies Bier hat, der wird sicher im Laufe des Jahres und sogar (noch) ohne digitalen Impfpass auf seine Kosten kommen – aber bitte nicht Singen, wegen der Aerosole!
Während Otto Normalbürger, der im Lockdown ordentlich an Gewicht zugelegt hat und vielleicht aus Frust über den verlorenen Arbeitsplatz das ein oder andere Bierchen vor der Flimmerkiste zu viel getrunken hat, sich an Jogi Löws Rechtfertigungen über die letzte Niederlage oder Robert Lewandowskis neuestem Hattrick ergötzen darf, leiden neben den Erwachsenen noch viel stärker Kinder und Jugendliche unter dem Lockdown.
Kognitive, soziale und motorische Fähigkeiten werden nämlich nicht unbedingt durch das stundenlange Starren auf Tablets, ob beim Homeschooling oder in der Freizeit bei TikTok, verbessert. Schon jetzt warnen Forscher vor einer übergewichtigen, kurzsichtigen und verstörten Generation Lockdown, die seit einem Jahr nur Erwachsene mit Maske im öffentlichen Raum kennt. Wie Fitnessstudios bei Erwachsenen klagen gerade auch die kleinen Sportvereine über massenhafte Austritte Jugendlicher. Denn aus Angst vor einer möglichen Infektion oder um den Mitgliedsbeitrag zu sparen, haben viele Eltern ihre Kinder vom Vereinsgeschehen abgemeldet.
Dabei ist doch klar, wie Thomas Härtel, Präsident des Landessportbundes Berlin, betont:
"Bewegung ist das Beste für die Gesundheit und für die Seele. Gerade auch für Kinder und Jugendliche ist der Vereinssport von zentraler Bedeutung, nicht zuletzt um das soziale Verhalten zu stärken."
Mangelnder Sport und das Erlernen grundlegender Techniken kann in Zukunft auch extreme Folgen haben, denn: Wenn ein ganzer Jahrgang nicht Schwimmen gelernt hat, zumal Freibäder und Schwimmhallen schon vor der Krise aus finanziellen Gründen am Limit waren, wird beispielsweise die "Zahl der tödlichen Badeunfälle steigen".
Statt also ausschließlich den Blick auf das Virus und den Schutz der Alten sowie Vorerkrankten über alles andere zu stellen, wird es dringend Zeit, dass die Politik sich auch um die psychische und physische Gesundheit der Jüngsten kümmert. Und das selbst wenn diese noch nicht wählen gehen können und erst dann verstärkt in Erscheinung treten werden, wenn eine weitgehend kinderlose Politikergeneration schon lange im gemütlichen Ruhestand verharrt und der Nationalmannschaft bei der WM oder den Bayern im Champions-League-Finale von der VIP-Tribüne aus zujubelt.
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