Nahost

Wie im Film Oceans' Eleven: Westliche Geheimdienste hacken und manipulieren Überwachungskameras

Science-Fiction wird real. Ein von Israels Ex-Premier Ehud Barak mitgegründetes Startup verkauft eine Technologie, die es Kunden ermöglicht, Sicherheitskameras in der Umgebung zu lokalisieren, zu hacken und zu manipulieren. Das Unternehmen soll auch schon in Deutschland vorgestellt worden sein.
Wie im Film Oceans' Eleven: Westliche Geheimdienste hacken und manipulieren ÜberwachungskamerasQuelle: Gettyimages.ru © Peter Cade

Viele dystopische Bedrohungsszenarien, die heute in Zusammenhang mit neuen Technologien gezeichnet werden, sind erschreckend. Neben diversen Methoden zum Abhören oder gar Aufzeichnen der digitalen Kommunikation ist es vor allem der rasant voranschreitende Entwicklungsfortschritt im Bereich der zuverlässigen Überwachung durch intelligente Kamerasysteme, der Datenschützern Sorge bereitet. Dabei ist das konkrete Gefahrenpotential dieser Ansätze nur sehr schwer greifbar, denn die eingeleiteten Überwachungsmaßnahmen bleiben den Opfern dieser zumeist verborgen.

Nun hat ein israelisches Start-up erneut einen dieser dystopischen Science-Fiction-Albträume in die Realität gebracht. Ähnlich wie im 2001 erschienenen Hollywood-Blockbuster Oceans' Eleven, in dem die Meisterdiebe bei einem Casino-Raub eindrucksvoll das Potenzial der Wiedergabe andernorts aufgezeichneter Videoaufnahmen vorführen, ist die von dem Start-up entwickelte Technologie in der Lage, Sicherheitskameras und Webcams in einem bestimmten Umkreis zu lokalisieren, sie zu hacken und gar auch das damit aufgenommene Audio- als auch Bildmaterial zu manipulieren – einschließlich vergangener Aufnahmen, berichtet die israelische Zeitung Haaretz.

Die "Big Brother"-ähnliche Software, die auch vom israelischen Geheimdienst Mossad verwendet werden soll, wurde demnach von der israelischen Firma Toka, ein Tech-Start-up, das vom ehemaligen israelischen Premierminister Ehud Barak und dem ehemaligen Cyber-Chef der israelischen Streitkräfte (IDF), Yaron Rosen, mitbegründet wurde, entwickelt, wie Haaretz unter Berufung auf vorliegende interne Unternehmensdokumente berichtet. Gegründet wurde das Unternehmen, dessen Aktivitäten dem Bericht zufolge vom israelischen Verteidigungsministerium beaufsichtigt werden, bereits 2018.

Es arbeitet ausschließlich mit staatlichen Kunden in Regierungen, Geheimdiensten und Strafverfolgungsbehörden, fast ausschließlich – aber nicht nur – im Westen zusammen. Diesen erlesenen Kunden ist es mit der Software von Toka nun etwa möglich, frühere Videoaufzeichnungen auszulesen. Ebenso können mit der Software mit dem Internet verbundene Kameras angezapft werden, die praktisch überall zu finden sind – an Kreuzungen, auf Parkplätzen, in Einkaufszentren, Hotels, Flughäfen und sogar in Wohnungen. Dadurch sei es den Ermittlern dem Bericht zufolge möglich, ganze "Zielgebiet" zu überwachen.

Der Spionagedienst, der seine Produkte in einem Paket zusammenfasst, rühmt sich demnach auch seiner Fähigkeiten, Bildmaterial in Echtzeit zu löschen oder zu verändern, und bezeichnet diese Praxis als "Maskierung von Aktivitäten vor Ort" für "verdeckte Operationen". Die Software biete demnach "bisher unerreichbare Fähigkeiten", die ungenutzte Sensoren im notorisch unsicheren Internet of Things (IoT) "in Informationsquellen umwandeln" und infolgedessen "für nachrichtendienstliche und operative Zwecke" genutzt werden können. Stolz ist das Unternehmen laut dem Bericht aber auch auf den Umstand, dass ein Teil dieses Softwarepakets, bekannt als "Auto-Forensik und -Intelligenz", gar auch Fahrzeuge "drahtlos" geolokalisieren kann. Das befähigt die Anwender somit dazu, etwa den Kfz-Standort zu ermitteln.

Die auf freiheitsliebende Menschen eher erschreckend und durchaus dystopisch wirkende Arbeit der staatlichen Hacker würde laut Donncha Ó Cearbhaill aus dem Security Lab von Amnesty International in Berlin vor allem durch den Umstand erleichtert, dass die in den anvisierten Zielgeräten verbauten Bluetooth- und WLAN-Schnittstellen oftmals Schwachstellen in der Software aufzeigten. Seien die Angreifer durch Ausnutzung dieser erst einmal in ein Netzwerk eingedrungen, könnten sie sich darin ausbreiten, erläuterte Ó Cearbhaill der Zeitung. Selbst eine "smarte" Glühbirne reiche den Eindringlingen dann bereits aus, um zum Beispiel ein WLAN-Passwort ergattern zu können.

Angesichts ihrer Brisanz ließ Haaretz die ihr von der Firma vorliegenden, meist technischen Niederschriften von einem Hacker auf Umsetzbarkeit überprüfen. Dieser konnte den Angaben zufolge belegen, dass Tokas Technologie offenbar tatsächlich sowohl Live- als auch aufgezeichnete Videoübertragungen verändern kann – und zwar ohne forensische Spuren oder verräterische Anzeichen eines Hacks zu hinterlassen – im Gegensatz zur Spionagesoftware Pegasus von NSO oder Predator von Intellexa, die einen digitalen Fingerabdruck auf den Zielgeräten hinterlassen.

"Das sind Fähigkeiten, die früher unvorstellbar waren", zeigte sich der israelische Menschenrechtsanwalt Alon Sapir gegenüber Haaretz besorgt. "Aus Sicht der Menschenrechte ist dies eine dystopische Technologie. Allein ihre bloße Existenz wirft ernste Fragen auf." Sapir befürchtet Situationen, in denen die von der Regierung eingesetzte Technologie missbraucht werden könnte:

"Man kann sich vorstellen, dass Videos manipuliert werden, um unschuldige Bürger zu belasten oder Schuldige zu schützen, die dem System nahestehen, oder auch nur manipulativ für ideologische oder sogar politische Zwecke bearbeitet werden, wenn sie in die falschen Hände geraten."

"Aus rechtlicher Sicht ist die Sammlung von Informationen ein heikles Thema", erklärte Sapir. "Trotz fehlender Gesetze setzt die Polizei Massenüberwachungsmittel ein, zu deren Einsatz sie möglicherweise nicht voll befugt ist: Technologie wie das HawkEye-System, von dem niemand etwas wusste, bis die Medien seine Existenz aufdeckten." Zwar sind manipulierte Videos vor Gericht als Beweismittel unzulässig. Der Menschenrechtler merkte jedoch an, dass "ein Szenario, in dem jemand einer Sache beschuldigt wird und nicht weiß, ob die gegen ihn vorgelegten Beweise echt sind oder nicht, wirklich dystopisch ist". Die derzeitigen Gesetze gingen nicht einmal ansatzweise auf solche Situationen ein, bemängelte er. 

"Nehmen Sie zum Beispiel die Gesichtserkennungstechnologie Blue Wolf, die von den IDF eingesetzt wird, um Palästinenser zu überwachen", sagte Sapir. "Das Westjordanland ist das Testgebiet des israelischen Verteidigungsapparats – und ein Szenario, in dem die Toka-Technologie unbemerkt eingesetzt wird, ist einfach erschreckend." Dem Anwalt zufolge sei es es dort bisher zwar überwiegend zu Fällen gekommen, "in denen Videobeweise geholfen haben, falsche Behauptungen von Siedlern und Soldaten zu widerlegen und unschuldige Palästinenser vor dem Gefängnis zu bewahren". Konträr dazu habe er in dieser Region aber auch Fälle begleitet, "in denen Videobeweise in der Vergangenheit verfälscht wurden".

Bedenken, die dem Tech-Start-up Toka selbst offenkundig fremd zu sein scheinen. "Toka führt ein strenges, jährliches Überprüfungs- und Genehmigungsverfahren durch, das sich an internationalen Indizes für Korruption, Rechtsstaatlichkeit und bürgerliche Freiheiten orientiert und von externen Beratern mit umfassender und anerkannter Expertise in der Korruptionsbekämpfung unterstützt wird", erklärte ein Sprecher des Unternehmens gegenüber Haaretz. Das Start-up arbeite deshalb nur mit den USA und deren Verbündeten zusammen.

"Unter keinen Umständen wird unser Unternehmen unsere Produkte an Länder oder Einrichtungen verkaufen, die vom US-Finanzministerium sanktioniert oder von der israelischen Behörde für Verteidigungsexportkontrolle verboten sind, was unseren potenziellen Kundenkreis auf Behörden in weniger als einem Fünftel aller Länder der Welt beschränkt, betonte der Sprecher. Wie aus den Haaretz vorliegenden Dokumenten hervorgeht, sehen die Pläne des Unternehmens, das derzeit bereits Niederlassungen in Tel Aviv als auch in Washington DC unterhält, vor, den Einflussradius der Firma im Ausland künftig weiter auszuweiten – auch in Deutschland. 

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